Impressionismus als Haltung
An der Vernissage der Werkschau 20 Jahre Atelier Vive Couleur habe ich zum ersten Mal über den Impressionismus als Haltung oder Einstellung gesprochen. Ich redete ohne Manuskript, die Ansprache wurde nicht aufgezeichnet. Das hier ist der Versuch, den Gedanken nachträglich zu Papier zu bringen.
Die Idee, zwischen dem Impressionismus als historischem Ereignis und seiner Bedeutung heute zu differenzieren, ist mir während dem Ausstellungsaufbau gekommen. Vorbereitet war sie aber sicher schon länger, denn ich hatte mit den Maler:innen in den Kursen im Lauf der Jahre viele Gespräche über den Impressionismus und die Beziehungshaftigkeit der Farben geführt. Einige vertraten den Standpunkt, der Impressionismus sei nicht mehr aktuell, weil Teil der historischen Vergangenheit. Für mich spielten die Jahrzahlen der impressionistischen Ausstellungen nie eine Rolle. Denn ich verstand nicht, wie das farbige Schauen des Impressionismus seine Aktualität verlieren könnte. Seit meiner Ausbildung am Kunstseminar Luzern verstand ich die farbige Wahrnehmung als ein universales Prinzip. Es ist eine Unterabteilung des dritten Elements in der Triade Geist – Seele – Sinnen.
Wenn es nun so wäre, wie wir annehmen: dass die westliche Kultur mit Ende des 19. Jahrhunderts in die Sphäre der dritten Elemente gewechselt hat, dann kommt seither der Sinneswahrnehmung eine ebenso grosse Bedeutung zu wie der geistigen Arbeit und der seelischen Präsenz. Diese Zusammenhänge kann ich hier nur berühren. Im Detail dargestellt sind sie in den Schriften von Radoslav Kutra, unter anderem in seinem Heft «Die Kunst und das Neue Weltbild».
Wie schon erwähnt, der Impressionismus gibt in der Malschule seit je Anlass zur kritischen Betrachtung, eben weil er eine Bewegung vor über hundert Jahren war. Und aus einem weiteren Grund: Es gab innerhalb des Impressionismus süssliche Phänomene (wie die Akte von Pierre-Auguste Renoir), und gleichzeitig blieben soziale Fragen so gut wie ausgeblendet. Ich wusste in den Gesprächen immer, dass die Leute in einem Teil Recht hatten – und dass das impressionistische Schauen nichts desto trotz heute so relevant ist wie damals.
Vielleicht löst sich der Widerspruch durch die Unterscheidung: Der Impressionismus, von dem wir sprechen und den wir als Grundlage unseres Schaffens verstehen, ist nicht identisch mit der kunsthistorischen Bewegung. Der Impressionismus, von dem wir sprechen, ist eine Haltung, eine Einstellung. Er bedeutet und beinhaltet die Wertschätzung der Sinneswahrnehmung, die Anerkennung der Sinne als gleichberechtigt mit Geist und Seele. Dass Kunst ein geistiges Zuhause braucht, leuchtet ein, und ebenso dass der:die Künstler:in seelisch involviert sein muss. Als drittes Element kommt die Sinneswahrnehmung hinzu, sie soll – so die Vision – gleichberechtigt und voll mitverantwortlich intergriert sein. Die Emanzipation der Sinne zur vollen Mitverantwortung hat im historischen Impressionismus begonnen. Impressionismus als Einstellung bedeutet, dass wir uns für die gleichberechtigte Beteiligung der Sinneswahrnehmung an allen menschlichen Aktivitäten einsetzen.
Im TA-Magazin vom 13. April 2024 gibt die Schauspielerin Ella Rumpf ein Interview. Man stellt ihr dort eine Menge Fragen, unter anderem zu ihrer Arbeitsweise als Schauspielerin. Auf die Frage, welches der Schlüssel zu ihrer künstlerischen Präsenz sei, antortet sie: «Ganz bewusst im Moment sein: hören, sehen, wahrnehmen.» Etwas weiter unten lautet die Frage: Was ist Timing? – Ella Rumpf: «Ein Gefühl zu haben für den Moment. Zu hören und zu sehen. Und zu spüren. Einen Überblick zu bekommen. Timing kann man nicht haben, wenn man sich nur auf eine Sache fokussiert.»
Dieser Wertschätzung der Sinneswahrnehmung begegnen wir hier und dort in Kunst, Kultur, Politik und Wissenschaft, und oft in Beiträgen der jüngeren Generation. Sie gibt Grund zur Hoffnung. Denn es wohnt der Sinneswahrnehmung eine Gelassenheit und Weisheit inne. Auf ihrer Basis lassen sich Entscheidungen treffen, die gut sind für Alle, und nicht nur für exklusive Teile der Gesellschaft. Die Sinneswahrnehmung ist genuin demokratisch. Sie ist beziehungshaft, ganzheitlich und inklusiv. Wer auf ihrer Basis entscheidet, hat den anderen zugehört und behält Das Ganze im Auge.
Mai 2024, Hannes Egli
Radoslav Kutra, Publikationen
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Architekturspaziergang am Fuss des Uetlibergs
Wir sind da einfach vom Goldbrunnenplatz in Zürich Wiedikon losgelaufen und am Ende beim Museum Rietberg in Zürich Enge herausgekommen.
Du gehst die Goldbrunnenstrasse hoch ins Alt Wiedikon und bist auf einer Zeitreise. Da oben stehen einige Riegelbauten aus der Zeit, als auf dem Hügel noch die Kühe grasten. Gleich nebenan eine riesige Genossenschaftssiedlung aus der Zeit schätzungsweise vor dem 2. Weltkrieg. Die als Blockrandbebauung angeordneten, rot verputzten Mehrfamilienhäuser wirken wie im Originalzustand, ohne Prunk oder gesuchte Originalität: einfach bezahlbarer Lebensraum mit viel Grün und für viele Menschen.
Dahinter geht es die Haldenstrasse hinunter zum Binzquartier. Hier auch wieder, an der Binzallee, eine riesige Wohnanlage. Sie ist nagelneu und erfrischend in ihrer Gradlinigkeit. Lässige Platzgestaltung vor der Haltestelle Binz der Uetlibergbahn.
Nun die Uetlibergstrasse hinauf zur Laubegg, dann die Geisshübelstrasse hinab in Richtung Sihlcity. Rechterhand an dem Stück Weg liegt die Überbauung Brunaupark (Link siehe unten). Sie fällt zuerst durch die wuchtigen und originellen Bauten auf. Zum Beispiel die Wohnsiedlung mit Migrosmarkt aus den 1980-er Jahren: Das muss man sich getrauen, so eine Burg in graubraunem Sichtbeton. Die ausgesteckten Bauprofile deuten an, dass diese Optik bzw. die mit den Bauten erzielte Rendite den heutigen Vorstellungen nicht mehr entspricht.
Ein kommerzielles Utopia betreten wir in der Sihlcity. Grossartiges Interieur in dem neuen Einkaufszentrum. Spannendes Nebeneinander der Neuen Bauten mit den Resten der ursprünglichen Industriearchitektur. Die in fast weissem Beton mit farbigen Einschlüssen gestaltete Fussgängerzone fasst alles hübsch zusammen.
Der Sihl entlang zum Bikepark Zürich, ein Biker übt einsam und zufrieden seine Sprünge. Unter der Bahninie durch und über die Brücke zur S-Bahnstation Brunau. Ein klassischer Unort unter gewaltigen Verkehrsbauten. Wir gehen bei der Haltestelle über die Passerelle und alles bergauf. Die Mutschellenstrasse überqueren und die Treppen des Aspwegs hoch. An der Ecke Mutschellenstrasse – Aspweg steht ein prächtiges, graugrünes Mehrfamilienhaus im Stil der 30-er Jahre. Beim Hochsteigen auf dem Aspweg sieht man das Gebäude auch von hinten.
Zwischen Kurfirstenstrasse und Scheideggstrasse beeindruckt uns eine Siedlung von elf quaderförmigen Mehrfamilienhäusern mit natürlich alternden Holzfassaden. In den Höfen zwischen den Häusern ist es üppig grün, mit mächtigen Bäumen aus einer ganz anderen Zeit.
Nun ist es nicht mehr weit zum Rieterpark. Du überquerst die Brunaustrasse und betrittst den Park von der Scheideggstrasse her durch den ersten oder zweiten Toreingang. Die wirkliche Überraschung in dem Park ist die Ausstellung Zeitgenössische Afrikanische Fotografie. Die mit dem CAP Prize 2022 ausgezeichneten Arbeiten von neun Fotograf:innen aus allen Teilen Afrikas sind als Freiluftinstallationen im Park verteilt. Es sind teils verspielte, aber auch sehr intensive Werke, oft mit Personen im Zentrum, oft mit Bezügen zwischen (kolonialer) Geschichte und Gegenwart.
April 2022, he
Brunaupark
IG Brunaupark
Brunaupark bei Tsüri.ch
Zeitgenössische Afrikanische Fotografie, Ausstellung bis 6. Juni 2022
Museum Rietberg
CAP Prize
Architektur und Freizeit
Das Hotel Greulich in Zürich
Eine Sache hat die Pandemie mir und meiner Partnerin gebracht. Statt in die Ferne zu reisen, verbringen wir dann und wann zwei oder drei Tage in einer schweizer Stadt. Das ist nicht sonderlich originell, aber es ist erholsam und schafft Abstand zu den Dingen zuhause. So war es auch letztes Wochenende im Hotel Greulich.
Dem Namen des Hotels sind wir zuerst im Roman «Gruber geht» von Doris Knecht begegnet. Irgendwann auf einem Stadtspaziergang stehen wir dann vor dem Haus und merken uns den Ort. Die Strasse, an der es liegt, und das Hotel selbst sind nach Herman Greulich (1842 – 1925) benannt, dem Gewerkschafter und Gründer der Sozialdemokratischen Partei Schweiz.
Zum Hotel umgebaut wurde das Haus um 2001 – 2003. Die dunkelblaue, geschwungene Fassade zur Strassenseite zeigt Attribute früherer Epochen, und auf den Photos aus den Zimmern gibt es technische Elemente, die auf ein früheres Baujahr verweisen. Wir müssen da schon wegen dieser Frage noch einmal hin.
Das Hotel hat vier Sterne und kostet dementsprechend. Es gibt aber im Hinterhof einen eleganten Flachbau, der einmal eine Schlosserei gewesen ist, und darin eine Reihe kleinerer Zimmer – Design-Rooms – die wie alles andere sehr schön gestaltet, dabei aber bezahlbar sind. Im Innenhof gibt es als Überraschung einen Birkenhain, den hat der Besitzer des Hauses 2002 von der Expo’02 übernommen und nach Zürich verpflanzen lassen.
Februar 2022, he
Doris Knecht, Gruber geht
Hotel Greulich, Zürich
Kunstbuch
Tanja Bykova
100 Grüsse aus der Schweiz
Kürzlich habe ich das Buch mit den einhundert Landschaftsaquarellen von Tanja Bykova erworben, das will ich hier gern weiterempfehlen. Es ist ein persönliches, man könnte auch sagen intimes Werk. Bykovas Aquarelle sind ebenso der sichtbaren Wirklichkeit wie dem inneren Landschaftsbild der Künstlerin verpflichtet.
Viele der Bilder sind vor Ort gemalt, im Pleinair mit all seinen Unwägbarkeiten. Das ist in den betreffenden Blättern spürbar und erkennbar. Oft ist es ein Ringen um die farbige Lösung, oft das souveräne Setzen einer farbigen Skala.
Tanja Bykova, geboren und aufgewachsen in Estland, zur Künstlerin ausgebildet an der Kunsthochschule St. Petersburg, lebte und arbeitete viele Jahre in Aarau. Vor einigen Jahren hat sie ihr Domizil nach Basel verlegt.
Den meisten Kontakt mit der Malerin hatte ich in den Jahren 2013 – 2016, als sie in Aarau ihre eigene Galerie führte. Die Galerie Neva zeigte mehrmals Arbeiten von mir, und ich erwarb bei ihr etliche kleine Werke für meine eigene Sammlung.
The Million Dollar Hotel von Wim Wenders – eine Einführung
Der Regisseur
Wim Wenders geb. 1945 in Düsseldorf
Katholische Familie, sein Vater arbeitet als Chirurg. Wenders studiert verschiedenes. Einmal will er sogar Priester werden, doch da kommt ihm der Rock’n’Roll dazwischen. Bildet sich an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film aus und schliesst sich der Gruppe Neuer Deutscher Film an (mit Volker Schlöndorff, Werner Herzog, Rosa von Praunheim, Rainer Werner Fassbinder u.a.). Diese Leute wollen keine reine Unterhaltung machen, sie verarbeiten politische und gesellschaftliche Themen. Wim Wenders wird durch Filme wie «Paris, Texas», «Himmel über Berlin», «Buena Vista Social Club» einem breiten Publikum bekannt.
Der Film
The Million Dollar Hotel kommt im Jahr 2000 heraus. In dem alten Hotel in Los Angeles leben schräge Vögel. Die drei Hauptfiguren sind
Tom (Jeremy Davies), Skateboarder, leicht autistisch, wirbelt herum wie ein Derwisch.
Eloise (Milla Jovovich), Gelegenheitsprostituierte und Toms Angebetete, schleicht wie ein Schatten durch die Welt.
Skinner (Mel Gibson), Detektiv, soll einen Mord aufklären.
Die Krimi- und die Liebesgeschichte führen durch den Film. Der Krimi erscheint gelegentlich etwas hektisch und verwirrend, um nicht zu sagen überladen. Die Lovestory hingegen ist allein schon Grund genug, den Film zu schauen.
Vier weitere Argumente für den Film
1) Die Filmmusik. Sie ist bei Wim Wenders immer wichtig. Für das Million Dollar Hotel hat er mit dem Sänger Bono von U2 zusammengearbeitet. Von ihm war die Idee zu dem Drehbuch, und er hat eine Band zusammengestellt und den Soundtrack aufgenommen.
2) Die Interieurs. Für die Gestaltung der Innenräume hat Wenders den Maler und Filmemacher Julian Schnabel engagiert. Es sind wilde und poetische Interieurs, Seelenbider der Bewohner*innen.
3) Das Filmhandwerk. Wim Wenders reflektiert in vielen seiner Filme das Filmemachen. Hier zeigt es sich darin, dass ein Fernsehteam ins Hotel kommt und auch die Bewohner*innen mit einer Videokamera hantieren. Wenders zitiert auch andere Filme, zum Beispiel wenn er Bewegungsszenen wie in einem Videoclip choreografieren lässt.
4) Die Empathie. Sie ist der wichtigste Grund, den Film zu sehen. In allen seinen Filmen begegnet Wenders seinen Figuren mit Respekt. Auch der kleinste Ganove hat seine Würde.
Viel Vergnügen, bonne projection!
(Hannes Egli, für eine private Veranstaltung im Herbst 2021. Quellen: filmportal.de, weltbild.de, Wikipedia)
Junge denk nach
Junge denk nach
du spuckst auf den Boden
und meinst das sei geil
doch das täuscht
das Mädel schaut
sie lächelt und denkt
oh nein das Schwein
speit seinen Schleim
in meine Welt hinein
der soll doch besser daheim
bei seiner Mama bleim
Wien 2019 / he
Beim Malen am Donaukanal
Der Donaukanal ist ein dicht genutztes Naherholungsgebiet mitten in der Stadt Wien. Ich habe mir da unten verschiedentlich ein Plätzchen am Rand des Geschehens gesucht und meine kleinen Studien zu der Werkgruppe Painted Spaces gemalt. Das sind Bilder von Mauern mit Graffiti. Deshalb auch die Standorte am Kanal: die Mauern dort ziehen sich über Hunderte Meter hin und sind für die Streetart freigegeben.
Bei dieser Arbeit erlebe ich dies und das. Nicht alle Verhaltensweisen sind dem Maler zur Freude. Aus gegebenem Anlass habe ich das Liedlein Junge denk nach entworfen.