Die neue Richtung
Das scheint mir überhaupt das Wichtigste in der Frage der Klimakrise: Positive neue Ansätze, die in ein neue Richtung zeigen und eine Vorstellung davon geben, wie die postwachstums-Gesellschaft aussehen wird. Hier zwei erfreuliche Beispiele unter den Titeln Neustart Schweiz und Solidarische Landwirtschaft.
Neustart Schweiz – ein Modell
August 2023
Das Buch lag in der Berner Buchhandlung Sinwel neben der Kasse. Ich habe es erworben und in den Aargau getragen, und jetzt in die Rheinschlucht. Auf den Boden kommen – klimagerecht leben im Quartier ist die neuste Publikation von Neustart Schweiz. Das Buch beschreibt das Modell einer ökologischen Arbeits- und Lebensweise. Es geht um eine Siedlungsform, in der die Menschen frei von Stress, mündig und selbstorganisiert leben und tätig sind. Dieses Modell hat Zukunft; es hat eine solche Ausstrahlungskraft, dass man:frau sofort in das Quartier umziehen möchte.
Der Verein Neustart Schweiz geht auf Initiativen und Entwürfe des Autors Hans Widmer zurück, der schon seit den 1980-er Jahren zu Fragen der Ökologie und Selbstverwaltung forscht und publiziert. Im Jahr 2012 gründeten Personen aus dem Umkreis von Neustart Schweiz die Baugenossenschaft NeNa1. Ihr Ziel ist die Realisation einer ökologischen Nachbarschaft im Raum Zürich nach dem Modell von Neustart Schweiz.
Buch bestellen
www.neustart-schweiz.ch
Baugenossenschaft NeNa1
Hans Widmer (Autor) bei Wikipedia
Solidarische Landwirtschaft
Dezember 2022
Das Kürzel Solawi steht für Solidarische Landwirtschaft. Es gibt diese kooperativen Projekte in vielen Ländern der Welt, unter verschiedenen Bezeichnungen und in unterschiedlichen Organisationsformen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie nicht nach Gewinn streben und eine lokale, ressourcenschonende Versorgung mit gesunden landwirtschaftlichen Produkten leisten.
Die Solidarische Landwirtschaft aktiviert altes Wissen über die Bodenpflege und knüpft auf moderne Weise dort an, wo die alte Kleinbauernlandwirtschaft im 20. Jahrhundert das Handtuch geworfen hat. Solidarische Landwirtschaft ist arbeitsintensiv, deshalb beteiligen sich viele Mitglieder an der Arbeit in den Gärten. Diese Mitarbeit im Garten oder auf dem Feld wird von den Beteiligten als ausgleichend und erfüllend beschrieben.
Ortoloco Hofkooperative in Dietikon (ZH)
ortoloco.ch
Siehe dort auch die ausgezeichnete Link-Sammlung
SRF Dokumentation vom September 2021, über Solawi-Projekte in der Schweiz
srf.ch/play/tv
Für alle, die in ihrer Region eine Solawi gründen möchten:
Kooperationsstelle für solidarische Landwirtschaft
www.solawi.ch
SoliLa – Solidarische Landwirtschaft Eulenhof, Möhlin (AG)
solila.ch
Ostern, Kunst und Klimakrise
April 2022
Ich bin weder besonders fromm noch ein regelmässiger Kirchgänger. Aber als ich vor einigen Jahren in Wien eine Ostermesse auf lateinisch hörte, gefiel mir das schon sehr. Überhaupt die Auferstehung, sie scheint mir ein herausragendes Konzept, vor allem in der Kunst. Die künstlerische Arbeit kommt dir manchmal unter den Händen zu Tode, du weisst nicht wie. Doch dann, nachdem du dich darein geschickt hast, wirkt von unerwarteter Seite ein neuer Impuls, belebt den Prozess neu und erweckt die Arbeit wieder. Ein Durchgang durch Tod und Auferstehung im Kleinen – wer darauf achtet, erlebt ihn auch ausserhalb der Kunst, im alltäglichen Geschehen.
Letzte Woche hat mich der Karfreitag einigermassen überrascht. Schon das Aufwachen fühlte sich wie in einer dunklen Geschichte an. Ich entschied mich am Kleiderschrank für die Frabe Schwarz. Beim Frühstück dachte ich an das Meeting bei Pilatus. Am Mittag schlichen sich Bilder vom Schädelberg ein, nachmittags Fragmente der Agonie. Beim Sonnenuntergang dachte ich an die Grablegung und an die Menschen, die dem Christus nahe gestanden hatten – ihr Schock und ihre Desorientierung, und wie sie sich zurückzogen und im Haus einschlossen.
Das ungewohnte Miterleben, so vermute ich, war von einem Kirchenbesuch in Lugano angeregt. Ich war zwei Tage vor dem Karfreitag in der Basilika Santa Maria degli Angioli gewesen und hatte mir Zeit für die Fresken des Meisters Bernardino Luini genommen. Das Monumentalbild auf der Front der Zwischenwand ist eine geniale Komposition. Luini gruppiert unzählige Einzelszenen um das grosse Motiv der Kreuzigung. Das Bild ist in reiner und reifer Renaissancemalerei ausgeführt. Wie alle grossen Werke seiner Zeit bringt es die Intensität des Glaubens mit der Kraft der Naturstudie zusammen.
Zurück zur Auferstehung. Ist es nicht so, dass wir in Bezug auf unseren Lebensstil einen Durchgang durch Tod und Auferstehung brauchen? Die grossen Erfolge der kapitalistischen Weltordnung ziehen eine Spur der Verwüstung nach sich. Noch wenige Jahre weiter so, und wir hinterlassen einen unbewohnbaren Planeten. Das System befindet sich in der Agonie, wir gestehen es uns nur nicht ein. Dabei müssen wir als Konsumgesellschaft dringend sterben – um als eine neue Menschheit zu auferstehen, mit einer solidarischen Grundhaltung und einer klimagerechten Lebensweise.
Das Ende des Fossilen Zeitalters
August 2021
In dem Buch Ausgepowert beschreibt Marcel Hänggi eine Sache, die uns noch zu wenig bewusst ist: Die Menschheit hat die letzten 150 Jahre im Ausnahmezustand gelebt.
Das Fossile Zeitalter beginnt mit der Dampfmaschine. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wird im grossen Stil Kohle gefördert, die westlichen Gesellschaften verfügen über nie gesehene Mengen an Energie. Das Erdöl kommt hinzu, und ab 1950 bildet sich das heute als normal geltende westliche Lebensmodell heraus.
Aber: Nichts an den Konzepten des Fossilen Zeitalters ist aus menschheitsgeschichtlicher Perspektive normal. Die ganzen 150 Jahre sind ein Ausbruch, eine Kollision mit den Naturgesetzen.
Mit unserer Wirtschaftsform und unserem Lebensstil verbrauchen wir vier Mal mehr Energie und Material als uns zusteht. Beide, Wirtschaftsform und Lebensstil, beruhen auf der Plünderung von Vorräten der kommenden Generationen. Sie sind Konzepte des Fossilen Zeitalters und lassen sich nicht übertragen in eine nachhaltige Zukunft.
Unsere Aufgabe ist kein Weiter wie bisher, sondern das schnelle Anpassen von Wirtschaft und Lebensweise, das Absenken des ökologischen Fussabdrucks von 4 auf 1.
Müssen wir leben wie in vorindustrieller Zeit? Das glaube ich nicht; die neuen Modelle werden Neukonzeptionen auf zeitlosen Grundlagen sein. Lasst uns tanzen statt herumrasen, trommeln statt fliegen, Kampfsport treiben statt in den Krieg ziehen. Viele starke Projekte gehen in die neue Richtung. Informieren wir uns! Schliessen wir uns an!
Hannes Egli
(13.8.2021 auf tagesanzeiger.ch in der Kommentarspalte zum 6. IPCC-Report)